Montag, 19. Januar 2009

Leidenschaft in der Musik

236.

Leidenschaft in der Musik
"Leidenschaft ist eine das Gemüt erfassende Emotion". (Wikipedia). Musik spricht als Kunstwerk gleichermassen Sinne und Geist an und löst, da sie nur klingend wahrgenommen werden kann, Gefühle aus. In gewissen Epochen, vor allem in der Romantik, ist die sinnliche Komponente besonders stark ausgeprägt. Die formale Gestaltung scheint ganz von aufwühlenden, leidenschaftlichen, dramatischen Entwicklungen bestimmt zu sein und berührt im empfänglichen Zuhörer Empfindungen von einer Intensität, die keine andere Kunst vermitteln kann. Im Referat wird anhand von Beispielen versucht, diese Kraft der Musik zu zeigen und im Zuhörer ein Stück "Erlebnisfähigkeit" zu wecken.
Peter Eidenbenz, Musiker und Dirigent, Herrliberg
Montag, 19. Jan. 2009, 19:30 Uhr, Musikzimmer, Kantonsschule Glarus

Donnerstag, 15. Januar 2009

Wie werden Kinder sozialisiert?

235.
Wie werden Kinder sozialisiert?

Eltern und Fachleute, die sich mit Kindern beschäftigen, haben alle ihre eigenen Vorstellungen, wie Kinder zu sozialisieren sind. Häufig geht es dabei mehr um die Interessen der Erwachsenen (z.B. Kontrolle durch Disziplin) und weit weniger um die Bedürfnisse der Kinder. Aus verhaltensbiologischer Sicht haben die Kinder eine innere Bereitschaft, zu gehorchen und so zu werden wie ihre soziale Umgebung. Sind wir Erwachsenen aber bereit, die notwendige Zeit dafür aufzubringen, und unseren Beitrag - beispielsweise als Vorbilder - zu leisten?
Prof.Dr.med. Remo Largo, Kinderarzt und Autor
In Zusammenarbeit mit der Elternbildung Glarus, Eintrittspreis Fr. 10.--
Donnerstag, 15. Jan. 2009, 19:30 Uhr, Schützenhaus, Glarus
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Zusammenfassung / Rückblick:
Wie werden Kinder sozialisiert? Prof. Dr. med. Remo Largo, Kinderarzt und Autor, Do. 15. Jan. 2009

Ein nicht abreißender Strom von Besucher-Innen (90 % Frauen) verzögerte den Beginn um ca. 10 min. (Der große Bericht in der Südostschweiz hatte offenbar gewirkt!) Anzahl gegen 300!
Dr. Remo Largo trug locker, aber engagiert und ohne jede Überheblichkeit vor und schlug den Saal in seinen Bann.

Das wichtigste Anliegen ist dem Referenten, dass die Bedürfnisse des Kindes im Mittelpunkt stehen. „Stromlinienförmige“, brave, folgsame Kinder gefallen Eltern, Lehrern und der Gesellschaft, aber das ist nicht erstrebenswert.

Ziel sollte sein:
  • emotional gefestigt
  • sozial kompetent mit klaren Wertvorstellungen
  • selbst bestimmte Persönlichkeit
Sogar im neuen Tierschutzgesetz heißt es über die Haltung von Katzen (od. Meerschweinchen oder Wellensittichen): Katzen sind soziale Wesen, sie brauchen Bezugspersonen und (Sicht)kontakte zu Artgenossen.

Umso mehr gilt das für Kinder, ist aber weder schriftlich formuliert noch immer gewährleistet.

Kleine Tiere und kleine Kinder brauchen ein enges Bindungsverhältnis zu Erwachsenen, die ihnen Ernährung, Pflege, Schutz etc. gewährleisten, am Anfang viel Körperkontakt, und bei Menschen kommt die Vermittlung der Kultur (Bildung) dazu. Länger allein zu sein, erfüllt Säuglinge mit Angst.

Die Bezugsperson(-en)
  • muss vertraut sein (dafür braucht es etwas Zeit),
  • sie muss verfügbar sein (nicht nur körperlich anwesend, auch mental),
  • sie muss verlässlich sein (keine unerklärlichen Wut- oder andere Anfälle; z.B. wie bei Drogenabhängigen)
Säuglinge sind so fixiert auf ihre Bezugspersonen, dass sie bald gegenüber Fremden Angst entwickeln und Eifersucht gegenüber Geschwistern.

Bezugsperson muss/soll nicht die Mutter allein sein. Wenn der Vater in der ersten Phase zu wenig da ist, lässt sich das später kaum noch aufholen. Ideal waren die Großfamilien vor 100 Jahren, wo die Kinder Beziehungen zu verschiedensten Personen aufbauen konnten (das war früher insofern noch besonders wichtig, weil viel häufiger die Mutter und andere Familienmitglieder vorzeitig wegstarben). Ganz ungünstig sind Kleinstfamilien, die es eigentlich erst seit dem 2.Welt­krieg gibt: allein erziehende Mütter mit Kind. Eine Mutter allein hat gar nicht die Zeit, die das Kind braucht.

Schulkinder entwickeln eine enge Beziehung zur Lehrperson, was bei Fachlehrersystem schwierig ist. Auch wären Kontakte außerhalb der Schule wichtig. Die Lehrperson sollte glaubwürdig und kompetent sein und die Kinder gern haben und dafür braucht sie Zeit. Das Kind muss spüren, dass es als Person geschätzt wird, nicht nur seine guten Noten. Ein Klassenzimmer, wo es sich zuhause fühlen kann, ist auch wichtig. Und wieder, wie oben gesagt, gute Beziehungen zu anderen Kindern. Wenn die Beziehungen zwischen Eltern und LehrerIn, LehrerIn und Kindern und Kindern untereinander gut sind, wirkt sich das selbstverständlich auch positiv auf die Schulleistungen der Kinder aus.

Ein Diagramm zeigt, wie gleich nach der Geburt die Beziehung zu den Eltern eine ganz wichtige Rolle spielt. Die Wichtigkeitskurve flacht etwas ab, dafür baut sich die Beziehung zu den Lehrern auf. Lange Zeit sind Eltern und Lehrer das „Größte“. Aber in der Pubertät folgt die natürliche Ablösung (Das ist im Tierreich noch viel brutaler: erwachsene Tierjunge werden verstoßen). Die Illusion macht der Erkenntnis Platz, dass Eltern und Lehrer auch nur Menschen sind. Das Bedürfnis nach Halt, Liebe, Schutz, Geborgenheit und Vorbildern bleibt aber unvermindert bestehen und wird bei den Gleichaltrigen (Fachwort aus dem Englischen: peers) gesucht: Freundschaften, Liebschaften (Nur nicht „allein sein“, das ist ein Albtraum). Da aber Gleichaltrige nie eine gleich intensive Zuwendung wie die Eltern leisten können, gibt es zwangsläufig große Probleme und Stress.

Zum Gehorsam:
In den letzten 50 Jahren folgte auf die (jahrhundertealte) Autoritäre Erziehung (schon im Alten Testament postuliert!) die antiautoritäre und dann die verhaltensorientierte Erziehung.
Die traditionelle autoritäre Erziehung sah Kinder als grundsätzlich schlecht an. Das „Böse“ galt es auszutreiben, den Willen zu brechen, eine Unterwürfigkeit des Kindes unter die absolute Autorität der Erwachsenen musste sein etc. Die Kinder gehorchten aus Angst, waren nicht konfliktfähig, fremdbestimmt, in der Entfaltung gehemmt.

Von A.S.Neills „Antiautoritärer Erziehung“ wurde alles auf den Kopf gestellt: Jedes Kind in an sich gut, das Kind allein bestimmt, was es will etc. Folgen dieser Bewegung waren mindestens teilweise positiv: Kinder waren kreativer, nahmen Gefühle besser wahr u.a.m. Wenn negative Verhaltensweisen heutiger Jugendlicher von gewissen Kreisen ausschließlich als Fol­gen dieser Erziehung dargestellt werden, ist das so nicht richtig. Wenn heutige Kinder verwöhnter, opportunistischer, konsumorientierter, weniger leistungsfreudig etc. sind, liegt es zum größten Teil daran, dass sie die Erwachsenen ko­pieren!

Neuerdings ist unter Erziehern wieder Disziplin ein Thema. Eine Umfrage unter Eltern ergab ein erstaunliches Bild: Etwa 70 % der Eltern beurteilen ihre Kinder bis sie etwa 12 Jahre alt sind als grundsätzlich ungehorsam. Das ist eine verzerrte Wahrnehmung: Kinder sind normalerweise erstaunlich folgsam, aber wenn ein Kind einen Tag lang brav ist und vielleicht ein-/zweimal sich widersetzt, registrieren viele Eltern nur diesen Ungehorsam und dramatisieren ihn.

Ein neuer Begriff ist: PPP (Triple P): positive parenting programme (Positives Erziehungsprogramm). Man versucht bei Kindern das angemessene Verhalten zu fördern und ihnen das unerwünschte Verhalten zu verleiden (das unterscheidet sich grundsätzlich nicht sehr vom Training von Pferden oder Hunden, was aber nicht heißt, dass es nur schlecht ist!)

Es ist klar, dass man Kindern Grenzen setzen muss (und dass das nicht einfach ist!), aber Remo Largo betont, dass weder Disziplin noch Verhaltenstraining nach Triple P genügt. Er weist auf viele Vorgänger hin (Rousseau, Pestalozzi, Fröbel etc.) und plädiert dafür, dass die Beziehung vor der Erziehung kommt. Kinder, die innerlich, emotional an ihre Erzieher gebunden sind, haben eine natürlichen Willen zu tun, was man ihnen sagt. Wenn aber ein Vater, den sie den ganzen Tag nicht gesehen ha­ben, am Abend das Schimpfen und Zurechtweisen übernimmt, hat er keine Chance als Autorität anerkannt zu werden. Väter hatten Jahrhunderte lang die autoritäre Erziehung aufgebaut und gerühmt, aber heute sind Väter als Angst einflößende Respektspersonen ein Anachronismus.

Der Münchner Kabarettist Karl Valentin sagte einmal: „Kinder können wir nicht erziehen, sie machen uns eh’ alles nach“. Orientierung an Vorbildern (Eltern, Lehrer, Gleichaltrige) und Nachahmung prägen das Verhalten und die Wertvorstellungen der Heranwachsenden viel mehr als „Erziehungsmaßnahmen“. Wie will man den Kindern das Fern­sehschauen (Rauchen etc.) verbieten, wenn die Eltern selber nichts Schlaueres tun? Und was wird doch für ein - für beide Seiten - unerfreulicher Aufwand betrieben, um Kindern das nächtliche Schreien oder die Windeln abzugewöhnen, vor allem bei den Erstgeborenen resp. bei Einzelkindern. Wenn schon ältere Geschwister da sind, ergibt sich vieles durch Nachah­mung von selber.

Die Idee, dass die Erziehung Aufgabe der Mutter sei und die Bildung die Aufgabe der Schule, ist doppelt falsch. Selbstverständlich werden die Kinder in den ca. 10'000 Stunden, die sie in der Schule verbringen, nachhaltig charakterlich geprägt, d.h. erzogen, und selbstverständlich werden sie – je nach Bildungsniveau der Eltern – daheim gebildet, wobei in unserer Gesellschaft die Väter sehr oft zu wenig zuhause sind.

Die Schulen dürfen sich deshalb nicht auf Vermittlung von Schulstoff beschränken, sondern müssen ihre Aufgabe als Erzieher wahrnehmen, indem sie solidarisches Verhalten fördern, Risikoverhalten (Drogen etc.) bekämpfen und Wege zeigen, wie man Konflikte bewältigt etc.

Die anschließend gestellten Fragen aus dem Publikum waren z.T. wegen der Größe des Saales schwer verständlich, aber die Antworten von Dr. Remo Largo dank Mikrophon schon. Unter anderem kam die offensichtliche Benachteiligung der Knaben in unserem Schulsystem zur Sprache (60% Mädchen : 40 % Buben im Gymnasium; da stimmt doch etwas nicht!) und die Tatsache, dass es die Gesetze in skandinavischen Staaten seit langem den Vätern und Müttern erlauben, Familie und Arbeit unter einen Hut zu bringen, zum Vorteil der Kinder.
Zum Schluss stellte Irena Zweifel Schiesser (vom Roten Kreuz) das Projekt „Stark durch Erziehung“ vom SBE (Schweiz. Bund für Elternbildung) vor, das in diesem Jahr noch viele Veranstaltungen ins Glarnerland bringen wird.

Selbstverständlich hatte die Buchhandlung Baeschlin einen Stand mit Büchern von Dr. Remo Largo aufgebaut und wies auch auf das nächstens erscheinende Buch hin, das Remo H. Largo und der Glarner Journalist Martin Beglinger gemeinsam verfasst haben: „Schülerjahre - Wie Kinder besser lernen“.

Nach der Veranstaltung gab es im festlich dekorierten Foyer auf beiden Stockwerken einen Apéro.
(Text: Dr. Markus Nöthiger)